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30. Juli 2019

Die Stadionsituation bei Rot und Blau

Auch wenn aus völlig unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Zielen, so eint beide Vereine derzeit eine mittelfristig nicht zufrieden stellende Stadionsituation. Während Union allerdings zumindest einen Plan in der Schublade hat und das „Problem“ nur „temporärer“ Natur (da positive Perspektive) zu sein scheint, dreht man sich bei Hertha im Kreis. Man muß allerdings attestieren, das bei Beibehaltung des Status Quo als „worst case“ die Situation bei Hertha im Grunde nicht ganz so dramatisch ist, wie sie sich für den 1. FC Union darstellen könnte, sollte man (was ja durchaus im Bereich des möglichen erscheint) z.B. aufgrund von fehlenden Verkehrskonzepten den Ausbau der Alten Försterei weiter aufschieben müssen.


Hertha BSC / Olympiastadion


© Thomas Wolf, www.foto-tw.de (CC BY-SA 3.0 DE)
 Ja, natürlich will Hertha ein neues Stadion, natürlich möchte man ein wirkliches „zu Hause“ welches auf die Ansprüche und Umstände optimal zugeschnitten ist. Allerdings muss man berücksichtigen: Mit dem Olympiastadion wäre Hertha zumindest perspektivisch nach wie vor Entwicklungsfähig, zumal der Teil der Anhänger die gar kein Problem damit hätten weiterhin im Oly zu bleiben nicht gerade klein ist. Die „Miete/Eigentum“ Diskussion mal außen vor, sehen und akzeptieren viele blau-weisse Anhänger das Oly durchaus als ihr traditionelles „Heim“.
Das bestreben des Vereins eine eigene Arena haben zu wollen, ist wirtschaftlich langfristig nachvollziehbar, Kredite für Eigentum statt Mietzahlungen sind auf 10-20 Jahre in die Zukunft geschaut besser zu planen, zu kalkulieren und auch zu finanzieren. Nicht ganz unwesentlich ist dann der erhoffte Bonus, durch eine eigene Arena auch deutlich besser ein eigenes Image als Marke entwickeln und festigen zu können.

Luftschlösser ohne Plan B ?
Allerdings entpuppen sich Vereinsideen bisweilen leider als Luftschlösser, da man schier unabänderliche Umstände zu ignorieren scheint und keinen Plan B in der Hinterhand hat. Und so bewegt man sich mit jedem Vorpreschen gleichzeitig wieder einen Schritt zurück. Das Festhalten des Vereins an einem Bau im Olympiapark ist verständlich, führt aber immer wieder in eine Sackgasse. Die Stadt will zum einen ihren Ankermieter im Olympiastadion nicht verlieren und wird zum anderen auch niemals ein Okay für die Bebauung in direkter Nachbarschaft geben. Was Hertha fehlt ist eine realistische Strategie um ihren Plänen Nachdruck zu verleihen. Die Option „Tegel“ wäre eine solche, die es lohnen würde zu vertiefen. Allerdings steht und fällt eine Bebauung von Tegel mit der Fertigstellung des BER - und ist angesichts der Historie des endlosen Flughafenbaus nicht ansatzweise kalkulierbar. Tegel mag daher perspektivisch interessant und vielversprechend sein - aber eine Fertigstellung des BER erscheint einigen Experten zu Folge in absehbarer Zeit noch unwahrscheinlicher als ein „Go“ des Senats zur Bebauung des Olympiageländes. :x
Weitere Alternativen gibt es nicht. Bebauungsflächen in der Stadt sind quasi nicht vorhanden. Ein Ausweichen an den Stadtrand (jenseits der Stadtgrenze) wurde zuletzt von den Mitgliedern abgelehnt. Allerdings mag das auch ganz spezifisch am damals vorgeschlagenen Standort Ludwigsfelde gelegen haben, der gefühlt „am anderen Ende der Welt“ zu liegen schien. Ich könnte mir vorstellen, dass die Ablehnung für ein Stadion in Brandenburg weniger stark gewesen wäre, wenn der Standort ein anderer gewesen wäre. Wäre sowas wie Falkensee, Dallgow, Henningsdorf, Nauen den Mitgliedern leichter vermittelbar gewesen? Oder hat man mit Ludwigsfelde absichtlich auf ein größtmögliches Extrem gesetzt um den Senat gegenüber die Alternativlosigkeit des Olympiaparks zu demonstrieren?

Stand jetzt scheint ein eigenes Hertha Stadion jedenfalls Fiktion zu sein, da es außer ein paar „Studien“ keine realistischen Konzepte gibt. Da kann der Verein noch so sehr den Zieltermin 2025 propagandieren. Bei nur 2 Jahren Bauzeit müssten hierfür bereits jetzt diverse Baugenehmigungsverfahren laufen. Dafür müssten aber Standort und Architektur längst in trockenen Tüchern sein. Für mich ist die gesamte Diskussion (so wie sie vom Verein geführt wird) derzeit nichts anderes als ein permanentes „auf den Busch klopfen“.
Im worst case hat Hertha allerdings mit dem Olympiastadion eine technisch hochwertig ausgerüstete Spielstätte, die dem Verein zumindest die Möglichkeit lässt sich weiter zu entwickeln. Zwar teurer und wirtschaftlich nicht so attraktiv wie etwas eigenes, aber eben auch nicht die schlechteste Basis.



1. FC Union / Alte Försterei


Wikipedia / Lear 21
Hier stimmen im Grunde die Grundvoraussetzungen, die Hertha für sich derzeit händeringend sucht.
Nur: mit derzeit 22000 Zuschauern ist die Alte Försterei zu klein. Spätestens mit dem Aufstieg in die Bundesliga und dem Vorverkaufsstart für die ersten Saisontickets, wird den Unionern klar: Das potentiell mögliche Wachstum ist an dieser Stelle nicht einfach nur beendet, sondern geradezu abrupt abgebremst.
Es ist jetzt 18 Jahre her, dass beim DFB Pokalfinale gut 20000 Unioner das Olympiastadion bevölkerten. Das Potential welches sich hier abzeichnete (zu einer Zeit als die Dritte Liga noch Unions höchste Spielklasse seit der Wiedervereinigung war) war unübersehbar. Natürlich waren und sind Aufstiege bzw. die Etablierung in Liga 2, geschweige denn Liga 1 weder planbar, noch vorhersehbar (wie ja auch der zwischenzeitliche Abstieg in Liga 4 zeigt). Von daher gibt es auch keinen Vorwurf an die Verantwortlichen den Ausbau der Alten Försterei vor 10 Jahren nur im Bereich der aktuell 22000 Zuschauer umgesetzt zu haben. Das hat immerhin gut 10 Jahre gereicht, in denen der Unterhalt für ein größeres Stadion auch schnell hätte zu einem wirtschaftliches Fiasko werden können.

Kapazitätsgrenze nur ein Luxusproblem ?
Und dennoch hat Union derzeit ein „Stadionproblem“, auch wenn eine stets ausverkaufte Hütte viele Leute als „Luxusproblem“ bezeichnen würden. Unterm Strich ist aber der anhängende Rattenschwanz deutlich länger und tut Union, gerade als frisch gebackener Erstligist, sicher in vielen Bereichen deutlich mehr weh, als man sich nach Außen hin anmerken lässt.
Zum einen ist eine Kapazität von 22000 Zuschauern für einen Erstligisten ein denkbar begrenzte Etatposition. Desweiteren ist es unabhängig einer sportlich möglichen Platzierung schlicht unmöglich z.B. zu Hertha BSC auch nur annähernd „aufzuschließen“.
Selbst wenn sich die Mitgliederzahlen beider Vereine noch weiter annähern, so ist das natürliche, organische Wachstum von Fans, die man als Verein langfristig an sich binden kann (wozu unstreitbar Stadionbesuche beitragen) an dieser Stelle beendet. Selbst für den eher unwahrscheinlichen Fall, dass Hertha kommende Saison tabellarisch hinter Union landet und dabei auch noch einen Zuschauerrückgang auf sagen wir durchschnittlich nur 35.000 Zuschauern verzeichnen würde - der 1. FC Union könnte derzeit davon in keinster Weise nachhaltig profitieren.

Dies könnte sich sogar nachteilig auf die Folgejahre auswirken, denn man verliert nicht nur eine potentielle neue Zuschauergeneration, die sich wiederum zu einem festen „Stammpublikum“ der nächsten 10 Jahre entwickeln könnte (und von denen auch bei Abstieg 1000-2000 „hängen bleiben“). Erstmals muss man diese Saison auch in spürbarem Maße Fans außen vor lassen, die vor 10, 15 und 20 Jahren bereits zum eigentlichen „Stamm“ gehörten. Die Wachstumsbegrenzung betrifft also nicht nur potentiell „neue“ Interessenten, sondern auch Freunde, Verwandte und Bekannte von „Alteingesessenen“ (sowie diesen selbst!) und schmälert damit das Erlebnis „1.FC Union“ als Teil der eigenen, individuell-gesellschaftlichen Sozialisierung. Wer ist denn nicht zum ersten mal als Begleitung seines Vaters, Mutter, Bruder, Schwester oder Kumpels bei Union gewesen?
Dazu kommt die Gefahr von zunehmenden Neiddebatten, die sich negativ auf die Stimmung innerhalb der bestehenden Anhängerschaft auswirken könnte, da sie das Potential hat Ausgrenzung und drohende Hierarchisierung unter den Fans anzuheizen. Die Diskussionen wer denn nun „der bessere Unioner“ ist gab es schließlich bereits vor 10-20 Jahren, als noch Platz für alle war. Am Ende entschied bereits in der Vergangenheit oftmals nur die Gnade der früheren Geburt eine solche Debatte. Man kann nur hoffen, das sich die aktuelle Situation mit einem möglichst frühzeitig feststehendem Baubeginn der AF Erweiterung entspannt, und sich die Anhängerschaft nicht langfristig an einer perspektivlosen Ressourcenknappheit aufreibt.
Die aktuelle Situation birgt meiner Meinung nach neben dem wirtschaftlichen Faktor zum eigentlich bestmöglichen Zeitpunkt in seinem Wachstum beschränkt zu sein, auch eine gesellschaftlich potentiell explosive Mischung innerhalb der Anhängerschaft.

Natürlich bringt es nichts mit der Situation überdurchschnittlich zu hadern. Es ist nunmal wie es  ist und die Lösungen, die Union gefunden hat, erscheinen mir als der „bestmögliche Kompromiss“. Die kommende Saison erfordert es aber vom Verein sicher öfter moderierend in mögliche Brennpunkte einzugreifen um möglichst auch die, die „draußenbleiben“ weiterhin irgendwie einzubinden und mitzunehmen. Diese Moderation wird umso schwieriger, je länger der Ausbau wegen möglicher ausbleibender Genehmigungen aufgeschoben werden muß. Eine Normalisierung der Situation ohne Ausbau sehe ich, selbst bei einem Abstieg Unions, in den nächsten 2-3 Jahren jedenfalls nicht.



FAZIT:

Ich kann nicht einschätzen wie stark der Einfluß des drohenden Verkehrskollapses in und um Köpenick (der sich auch abseits von Union in den letzten Jahren, durch Versäumnisse der Politik erschreckend dramatisiert hat) am Ende auf die Erteilung einer Baugenehmigung und dem damit verbundenen Baubeginn ist. Aber vorausgesetzt Union würde sogar über 1,2,3 oder 4 Jahre die Klasse halten, sehe ich die langfristig negativen Folgen für den Verein bei einem ausbleibenden Ausbau der Alten Försterei als weitaus drastischer, als einen fehlenden Neubau für Hertha BSC.

Im Vorfeld des ersten bevorstehenden Erstligaderbys beider Vereine trägt also jeder sein eigenes Päckchen in Sachen „Stadiondiskussion“. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, wer von beiden letztendlich näher an der Umsetzung seines „Idealzustandes“ ist.


Artikel: @meckakopp

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